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Was aus dem Schlot kommt, muss öffentlich sein: VGH zwingt Zementwerke zur Transparenz

ZAK

Die Entscheidung könnte auch für die hiesige Zementindustrie richtungsweisend sein: Eine Bürgerin hatte vor Jahren vom Regierungspräsidium Stuttgart die Offenlegung verschiedener Emissionswerte des Schwenk-Zementwerks in Mergelstetten gefordert. Die Behörde hatte ihrer Anfrage zugestimmt, doch das Zementwerk klagte dagegen - und gab nun klein bei. Nach mehreren Instanzen bis hin zum Bundesverwaltungsgericht hat das klagende Unternehmen den Revisionsantrag zurückgezogen, somit ist das Urteil des Verwaltungsgerichtshof in Mannheim rechtskräftig: Was aus der Anlage in die Umgebung gelangt, soll öffentlich einsehbar sein.

 

Nach Jahren des Rechtsstreits sollen nun in Mergelstetten Werte wie Abgasvolumen, Abgastemperatur, Sauerstoffgehalt und Abgasfeuchte transparent offengelegt werden. Das Unternehmen hatte versucht, diese Daten geheim zu halten.

Die Sorge des Zementwerks: Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse würden verletzt, weil die Daten Rückschlüsse auf Betriebsprozesse ermöglichten, die auch für die Konkurrenz interessant seien.

Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hatte bereits 2017 entschieden, dass Bürger Informationen über Emissionen zugänglich gemacht werden müssen. Grundlage für diese Entscheidung ist Europarecht. Dort ist verankert, dass Informationen, die die Öffentlichkeit unmittelbar berühren auch für die Öffentlichkeit einsehbar sein müssen. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde zugelassen und vom Zementwerk auch beantragt, nun jedoch zurückgenommen.

Transparenz wird gefordert

Die Diskussion um die Transparenz von Emissionswerten ist auch im Schlichemtal seit Jahren präsentes Thema. Einer, der sich intensiv mit dem beschäftigt, was aus den Schloten des Holcim-Zementwerks in Dotternhausen kommt, ist Norbert Majer vom Verein NUZ. Für ihn ist das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ein deutliches Signal.

„Das Holcim-Zementwerk hat die Auflage bekommen, seine Anlagen zur Schadstoffreduktion zu optimieren, alle drei Monaten müssen die Werte ans Regierungspräsidium Tübingen übermittelt werden“, sagt er. Allein: Diese Werte gebe die Tübinger Behörde nicht heraus. „Wir wissen nicht, ob und wie sich die Emissionen überhaupt verändern“, ärgert sich Majer, der nach der Entscheidung des VGH nun auf mehr Transparenz hofft.

In eine ähnliche Richtung geht auch der Wunsch von Helmut Gimbel. Der Dotternhausener hat vergangenes Jahr zwei Petitionen an den Landtag von Baden-Württemberg und an den Bundestag geschickt und darin gefordert, dass die Grenzwerte durch eine neutrale und industrieunabhängige Fachgruppe ermittelt werden und für die Zementindustrie verpflichtend gelten sollen.

„Tatsächlich werden diese Grenzwerte im Moment aber von den eigenen Fachbereichen und Lobbyverbänden, wie dem Verein Deutscher Zementwerke (VDZ) und dem Forschungsinstitut der Zementindustrie (FIZ) ermittelt. Diese legen auch fest, was die beste verfügbare Technik ist“, sagt Helmut Gimbel.

So heißt es beispielsweise im aktuellen Tätigkeitsbericht des VDZ: „Der VDZ übernimmt für seine Kunden neben der Erstellung von Umweltgutachten auch die Erarbeitung und Prüfung von Genehmigungsanträgen sowie die vollständige Begleitung und Beratung bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren.“ Die Messstelle des FIZ biete die Durchführung von Emissions- und Immissionsmengen an, heißt es weiter.

Behörden beschwichtigen

Für Gimbel ein Unding. „Die Behörden übernehmen schlicht die Angaben der Lobby-Institute“, sagt er. Dies prangerte er in beiden Petitionen an. Auch an Wirtschaftsministerin Nicole Hofmeister-Kraut hatte er sich gewandt. Ende 2018 bekam er schließlich Antworten aus dem Landtag, dem Bundestag und dem Ministerium.

Übereinstimmend sagten alle Institutionen, der Gesetzgeber habe mit den Vorgaben der 17. Bundesimmissionsschutzverordnung und verschiedener weiterer Anweisungen zum Thema Grenzwerten alles hinreichend geregelt. „Dieser Darstellung habe ich gegenüber den verantwortlichen Umweltministern deutlich widersprochen“, sagt Helmut Gimbel.

Der Dotternhausener hat sich nun an die Leopoldina-Stiftung gewandt. Er möchte von den Fachleuten der nationalen Akademie der Wissenschaften wissen, inwiefern sie sich mit dem Thema Grenzwerte der Luftverschmutzung durch die Zementindustrie mit Müllverbrennung befassen und ob es schon erste Erkenntnisse gibt.

Ende Januar hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Stiftung vor dem Hintergrund der aktuellen Diesell-Debatte gebeten, sich mit der Luftverschmutzung insbesondere durch NO2 und deren gesundheitlichen Folgen auseinanderzusetzen. Wenngleich die Aufgabenstellung sich auf die Automobil- und nicht auf die Zementindustrie bezog, sieht sich Helmut Gimbel bestätigt. „Die Innovation der Industrie ist damit mehr gefordert, bei gleichzeitiger Verbesserung der Umweltsituation“, sagt er.

Wer ist Leopoldina?

Die Leopoldina-Stiftung ist nach eigenen Angaben eine der ältesten Wissenschaftsakademien der Welt. „1652 gegründet ist sie der freien Wissenschaft zum Wohle der Menschen und der Gestaltung der Zukunft verpflichtet. Mit ihren rund 1500 Mitgliedern vereint die Leopoldina hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und zahlreichen weiteren Ländern“, heißt es auf der Internetseite der Stiftung.

 

Autor: Nicole Leukhardt

 

Quelle: https://www.zak.de/Nachrichten/Was-aus-dem-Schlot-kommt-muss-oeffentlich-sein-VGH-zwingt-Zementwerke-zur-Transparenz-128333.html