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Kalksteinabbau auf dem Plettenberg: Eine Genehmigung geistert durch die Behörden

Der Genehmigungsvermerk für eine rund 17 Hektar große Fläche zur Rohstoffgewinnung wird seit 33 Jahren beim Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg geführt und auf Nachfrage an Behörden und Verbände weitergegeben. Er war sogar Grundlage für den aktuellen Regionalplan. Allein – die Genehmigung selbst existiert nicht. Eine verblüffende Spurensuche.

 

Eine fast 33 Jahre alte Genehmigung für eine Erweiterungsfläche auf dem Plettenberg taucht in zahlreichen behördlichen Unterlagen auf und ist unter anderem Grundlage für die weitreichende Planung des Regionalverbands Neckar-Alb.

 

Einziger Haken bei der Sache – diese Genehmigung aus dem Jahr 1986 wurde nie erteilt und existiert nicht. Dennoch macht sie das Jahr 1986 zu einer der Jahreszahlen, die für den Kalksteinabbau auf dem Plettenberg bei Dotternhausen womöglich schicksalhaft waren. Wie diese Genehmigung wohl ihren Weg in die behördlichen Mühlen fand?

 

Wie alles begann

 

Am 20. Mai 1986 hatte die damalige Firma Rohrbach beim Landratsamt Zollernalb eine Erweiterung ihres Steinbruchs beantragt. Der Antrag umfasste rund 18 Hektar und deckt sich in etwa mit der Fläche, die Holcim vor zwei Jahren zunächst als Süderweiterung vorgesehen hatte.

 

Weil wohl schon damals Zweifel bestanden, dass eine so große Fläche, die sich im Landschaftsschutzgebiet Großer Heuberg befindet, genehmigt werden würde, verfolgte das damalige Zementwerk Rohrbach den Antrag nicht weiter, sondern ließ ihn am 7. Juli 1988 beim Landratsamt Zollernalb auf ruhend stellen.

 

Politische Entscheidungen

 

Zurück in die Gegenwart, ins Dotternhausen im Jahr 2017: Es formiert sich Widerstand gegen die Abbaupläne des Dotternhausener Zementwerks Holcim. Bürgerinitiativen finden sich zusammen, versuchen Bürgerbegehren auf die Beine zu stellen. Ihr Ziel: Die Gemeinde solle frei mit dem Zementwerk über die Abbaugrenzen verhandeln dürfen. Die Dotternhausener Bürgervertreter um Bürgermeisterin Monique Adrian sehen sich samt ihres anwaltlichen Vertreters Kai-Markus Schenek jedoch an alte Verträge und bereits gegebene Zusagen gebunden.

 

Denn der unbeschiedene Antrag aus dem Jahr 1986 schwebt wie ein Damoklesschwert über der Gemeinde. Sollte er vom Landratsamt nach der langen Zeit wider Erwarten doch noch genehmigt werden, wäre die Gemeinde zur Freigabe der rund 18 Hektar verpflichtet. Die Forderung nach einer freien oder geringeren Grenzfestlegung hätte das Ziel des Bürgerbegehrens somit rechtswidrig gemacht.

 

Das Landratsamt bezieht Position

 

Die Räte folgen 2017 der anwaltlichen Begründung und lehnen das Bürgerbegehren ab, stets den ungewissen Ausgang in Sachen Antrag im Hinterkopf. Auch das Landratsamt kommt damals zu der Auffassung, dass das Bürgerbegehren rechtswidrig ist, wenngleich die Begründung sich nicht auf die mögliche Bindung an den alten Antrag stützt.

 

Es verwundert dennoch, dass das Bauamt des selben Landratsamts, das ohnehin über Wohl und Wehe des alten Antrags zu entscheiden gehabt hätte, nur einen Tag nach der Gemeinderatssitzung zur Frage um den Antrag eine eindeutige Position bezieht. In einem Schreiben, das dem ZOLLERN-ALB-KURIER vorliegt, schreibt das Bauamt der Firma Holcim: „Der Antrag von PZW (Portlandzementwerk, Rohrbach) entsprach den damals geltenden Rechtsvorschriften, die sich in den letzten 30 Jahren wesentlich geändert haben.“

 

Auch zur Genehmigungsfähigkeit des Antrags findet das Bauamt deutliche Worte: „Der Antrag ist nach heutigem Stand unvollständig und damit unzulässig.“ Weiter heißt es: „Im Falle einer Fortführung des Verfahrens, das mit Antrag der PZW vom 20. Mai 1986 eingeleitet wurde, beabsichtigen wir, den Antrag aus den vorbezeichneten Gründen abzulehnen.“

 

Dass der Fall behördenintern so klar liegt, wussten die Gemeinderäte von Dotternhausen am Vorabend noch nicht. Ihr gewichtigster und vom Anwalt herausgearbeiteter Ablehnungsgrund, nämlich das im Raum stehende Ja zum alten Antrag, war offenbar keiner.

 

Das Landratsamt erklärt sich so: „Zum Zeitpunkt der Gemeinderatssitzung war der Ausgang des Genehmigungsverfahrens eindeutig noch offen, da eine Entscheidung erst nach Anhörung und Auseinandersetzung mit den Argumenten der Antragstellerin ergehen und danach noch von dieser angefochten werden konnte.“ Der Ablehnungsbescheid des Bauamtes sei am 27. November 2017 erlassen und am 12. Juli 2018 bestandskräftig geworden.

 

Eine Genehmigung im Fokus

 

Doch damit nicht genug. Auch beim Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) im Regierungspräsidium Freiburg taucht die Zahl 1986 auf, wenngleich in einem anderen Zusammenhang. Denn in einem internen Erhebungsbogen vom 16. November 2005, der dem ZAK ebenfalls vorliegt, geht es nicht etwa um einen Antrag für eine Erweiterungsfläche.

 

Das Dokument attestiert bereits die Genehmigung dieser Erweiterung. Und zwar konkret datiert mit dem 26. August 1986. Die ausstellende Behörde, heißt es auf dem Bogen, sei das Landratsamt Zollernalb.

 

Wir haben auf der Suche nach dieser Genehmigung dort nachgefragt und um Akteneinsicht gebeten. Die Antwort von Pressesprecherin Marisa Hahn verblüfft: „Eine solche Genehmigung vom 26. August 1986 liegt dem Landratsamt weder vor, noch gibt es hierzu Akten. Mutmaßlich handelt es sich bei der von Ihnen angefragten Genehmigung um eine, die den Ölschieferabbau betrifft.“

 

Ist dies denkbar? Kaum, denn der Betriebserhebungsbogen macht eindeutige Angaben zur Fläche – genehmigte Abbausohle: 940 Meter über Normalnull. Auf den Höhen des Dotternhausener Plettenbergs also, weit oberhalb des Ölschieferfelds bei Dormettingen.

 

Auch in Freiburg weiß man von nichts

 

Da der Bogen von der Freiburger Behörde erstellt wurde, haken wir auch dort nach und fragen nach der Quelle der Genehmigung. Die Antwort lässt eine Weile auf sich warten. Die Behörde erbittet sich Zeit, den Vorgang intern zu klären.

 

Immerhin, soviel geht aus einem älteren Schreiben des RP Freiburg an den Dotternhausener Norbert Majer hervor, sei der Betriebserhebungsbogen vom Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg und dem Regionalverband Neckar-Alb erstellt worden. Auf Majers Frage, wie es die fragliche Genehmigung, deren Existenz nach unseren Recherchen ausgeschlossen werden kann, überhaupt in die Freiburger Akten geschafft hat, räumt auch das RP ein: „Ein Genehmigungsverwaltungsakt liegt beim LGRB nicht vor. Zu dem von Ihnen beschriebenen Datum 26. August 1986 liegt kein Schriftverkehr vor.“

 

Schließlich bekommen auch wir nach einer Woche die – zu erwartende – Auskunft: „Eine Genehmigung mit diesem Datum ist uns nicht bekannt.“ Die Daten des Bogens habe man durch „Befragung des Betreibers vor Ort“ erhoben. Pressesprecher Markus Adler erklärt es so: „Nach Überprüfung der Unterlagen ist zu vermuten, dass unserem damaligen Mitarbeiter in der Landesrohstoffgeologie beim Ausfüllen des Bogens mit der Notiz des Datums 26. August 1986 ein bedauerlicher Fehler unterlaufen ist.“

 

Ein durchaus menschliches Versehen im täglichen Wust vieler Akten also? Schwer vorstellbar, denn das Datum taucht nicht nur auf dem Erhebungsbogen auf. Eine Erweiterungsfläche ist auch in eine Karte eingetragen, die ebenfalls das Datum 26. August 1986 trägt.

 

Das Zementwerk kann es sich nicht erklären

 

Eine Person, die von der Genehmigung in jedem Fall wissen müsste, ist Sabine Schädle, Pressesprecherin des Zementwerks. Wenn die Daten durch Befragung des Betreibers erhoben wurden, wie und durch wen kam die nicht existente Genehmigung ins Spiel? „2005 liegt 14 Jahre zurück und keiner der damals für die Steinbrüche oder Genehmigungen Verantwortlichen ist mehr im Haus. Eine Befragung der damals Beteiligten geht daher nicht“, bedauert Schädle.

 

Die Frage, ob dem Zementwerk bewusst war, dass mehrere Behörden jahrzehntelang einen Fehler kultiviert und fortgeschrieben haben, lässt sie unbeantwortet.

 

Weiter heißt es: „Woher dieser Irrtum kommt, können wir nicht feststellen. Eine Erweiterungsgenehmigung von 1986 liegt nicht vor. Die angegebenen Flächen wurden alle 1982 genehmigt. Die circa 17 Hektar stellten schon damals das Interessensgebiet für zukünftige Abbautätigkeiten im Süden dar.“ Und sie ergänzt einen wesentlichen Punkt: „Sie sind in keiner Genehmigung enthalten.“

 

Und dennoch taucht eben jenes Gebiet als bereits genehmigte Fläche vier Jahre später wie aus dem Nichts auf und setzt sich in den Unterlagen der Behörden fest.

 

Ein Problem? Der Pressesprecher des Freiburger LGRBs wiegelt ab. Im Endeffekt ziehe dieser Fehler keinerlei Konsequenzen nach sich. Wenige Sätze später relativiert er diese Aussage, denn immerhin bilden „die Ergebnisse der Betriebserhebungen (...) die Grundlage für die Beratung der Regionalverbände bei der Fortschreibung der Regionalpläne.“

 

Und so verwundert es auch nicht, dass die vermeintliche Genehmigung auch beim Regionalverband Neckar-Alb aktenkundig ist. Dort heißt es nämlich: „Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Rohstoffabbau auf dem Plettenberg bildete eine Grundlage für die weitere regionale Rohstoffplanung auf dem Plettenberg.“

 

Der Regionalverband übernimmt Daten ungeprüft

 

Als Quelle der Daten nennt der Regionalverband das LGRB Freiburg, das sich nach eigenen Angaben auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Landratsamts Zollernalbkreis vom 26. August 1986 beziehe. „Die genehmigte Abbaufläche war jeweils in den Umweltberichten zu den Planentwürfen der Fortschreibung des Regionalplans 1993 und der ersten und dritten Regionalplanänderung als solche kenntlich gemacht.“

 

Der Verbandsdirektor des Regionalverbands, Dr. Dirk Seidemann, schrieb im Juli 2018 an Norbert Majer: „Im Zusammenhang mit der Fortschreibung des Regionalplans 1993 gibt es ein Schreiben des LGRB an den Regionalverband vom 12. Dezember 2005, dem Erhebungsbögen zum Steinbruch Dotternhausen beigelegt waren. Auf Seite 2 wird unter Punkt 3. auf eine Genehmigung aus dem Jahr 1986 verwiesen.“

 

Der Regionalverband nimmt zu der Frage, ob die „Genehmigung“ von 1986 eine Rolle bei der Schaffung der Rohstoffsicherungsfläche spielte, wie folgt Stellung: „Hauptgrundlage unserer Planung war das LGRB-Gutachten Rohstoffgeologische Beurteilung von geplanten Vorrang- und Sicherungsbereichen für den Rohstoffabbau in der Region Neckar-Alb aus dem Jahr 2007.“

 

Dieses Gutachten betrachte die Abbauwürdigkeit von Rohstoffen in anvisierten Abbaugebieten. „Anhand durchschnittlicher Abbaumengen der letzten Jahre, die wir zusammen mit dem LGRB bestimmt haben, wurde der Bedarf für die Erweiterung der Abbau- und Sicherungsgebiete errechnet und auf die Fläche umgesetzt. Dabei fanden die Rohstoffreserven in den bereits genehmigten Abbaubereichen Berücksichtigung.“

 

Rätsel bleibt ungelöst

 

Beim Regionalverband in Mössingen war man offenbar wie auch in Freiburg davon ausgegangen, dass Angaben einer Behörde unfehlbar sind.

 

Wer die nicht existierende Genehmigung vom 26. August 1986 ins Spiel gebracht hat, oder ob es tatsächlich ein bedauerlicher Schreibfehler war, der seit 30 Jahren ungeprüft als Referenz für die Rohstoffplanung auf dem Plettenberg herangezogen wird – und nicht zuletzt, welche Auswirkungen sie hatte – diese Fragen bleiben am Ende unserer Recherche offen.

 

Titelbild: Plettenberg und Zementwerk in der Abenddämmerung © Klaus Irion

Autor: Nicole Leukardt

Quelle: zak

https://www.zak.de/Nachrichten/Kalksteinabbau-auf-dem-Plettenberg-Eine-Genehmigung-geistert-durch-die-Behoerden-135822.html