11.07.2023
Regierungspräsidium muss die Abgas-Messwerte des Dotternhausener Zementwerks veröffentlichen
Das Regierungspräsidium Tübingen (RP) muss Messdaten zu den Abgaswerten aus dem Holcim-Zementwerk in Dotternhausen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
Eine solche Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen am Dienstag angekündigt. Am Mittwoch soll der Beschluss der 10. Kammer unter Vorsitz von Richter Julian Thüry verkündet
werden.
Geklagt hatte der Verein für Natur und Umweltschutz (NUZ) gegen das Land Baden-Württemberg, dessen Vertreter das Regierungspräsidium Tübingen ist. Die 10. Kammer
des Verwaltungsgerichts Sigmaringen war sich nach rund zweistündiger Verhandlung ziemlich sicher und sprach von einer „sehr entwickelten Ansicht“, die man in der Bewertung der Angelegenheit habe.
Der NUZ hatte auf Herausgabe von Umweltinformationen geklagt. Eine Bereithaltung der Daten sei zu bejahen, so das vorläufige Ergebnis des Gerichts.
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+++
Mit Überraschungen wird dabei kaum mehr zu rechnen sein. Kurz vor der Verkündigung der „sehr entwickelten Ansicht“ hatte sich die 10. Kammer unter dem Vorsitz von
Richter Julian Thüry zur Beratung zurückgezogen. Danach durften die Prozessbeteiligten Stellungnahmen abgeben. Daniel Krummacher, Anwalt des NUZ, führte aus, dass sich die Rechtsauffassung der
Kammer mit der seiner Mandanten decke. Sowohl Johanna Stegmann vom Regierungspräsidium (RP) Tübingen als auch Dr. Friedrich Wimmer, Abteilungsleiter Ersatzstoffe und stellvertretender
Umweltbeauftragter von Holcim in Dotternhausen, verzichteten auf explizite Stellungnahmen.
Einhaltung von Grenzwerten
Der NUZ-Vorsitzender Norbert Majer wies schon im Vorfeld der Verhandlung darauf hin, dass es darum gehe, ob das Regierungspräsidium Tübingen die halbstündlich
gemessenen Abgaswerte bei Holcim offen legen muss. „Nur mit diesen Werten und Unterlagen lassen sich die Einhaltung von Grenzwerten oder auch Abschaltungen oder Ausfall von Messinstrumenten
überhaupt nachweisen“, so Majer.
Geregelt ist die Angelegenheit eigentlich im Umweltverwaltungsgesetz. Dort heißt es im ersten Absatz des Paragrafen 24: „Jede Person hat nach Maßgabe dieses
Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle (…) verfügt, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen.“ Betriebsgeheimnisse
könnten da nicht entgegengehalten werden, erläuterte die Berichterstatterin des Verwaltungsgerichts, Richterin Judith Stahl.
Die Frage sei, ob das RP über diese Umweltinformationen verfüge. Die Daten kontinuierlich zu erhalten sei beispielsweise mit einer Emissionsfernüberwachung (EFÜ)
möglich. Dabei kann Holcim jederzeit die angeforderten Messdaten ans RP übermitteln. Das Werk muss die Messergebnisse fünf Jahre lang aufbewahren.
Andere Anlage, andere Datenerhebung
Es gebe zwar keinen spezifischen Grund, aber wenn Holcim an das entsprechende System angeschlossen sei, könnte man die Daten beim RP abrufen, so Johanna Stegmann
von der Tübingern Behörde. Da es wohl schon andere Anlagen gibt, die mittels EFÜ Messergebnisse zum RP liefern, wollte Rechtsanwalt Krummacher wissen, was für eine Anlage das sei. Johanna
Stegmann gab dazu keine Auskunft.
Die Auswertung aller Daten ist nach Ansicht des RP eine Herkulesaufgabe. In den Berichten, die das RP erstellt, würden verschiedene Prüfdaten zusammengefasst, so
Johanna Stegmann. Es werde dabei überprüft, ob die Betriebsgenehmigung eingehalten werde. Dazu kämen aber auch Daten aus der wasserrechtlichen Überprüfung und Daten zu den Stillstandzeiten. „Dann
ist das so eine Art Sammelbericht?“, wollte der beisitzende Richter Max Häfner wissen. Der Bericht sei eine Auswertung der Einzelmessungen, erklärte Dr. Friedrich Wimmer. Von einer „sehr großen
Datenmenge“ sprach Johanna Stegmann.
Beispiel Holcim-Werk in Sehnde-Höver
NUZ-Vorsitzender Norbert Majer wies auf das Holcim-Zementwerk in Sehnde-Höver bei Hannover hin. „Dort können sie die Daten durchblättern“, erklärte er, die
Umweltinformationen seien öffentlich. Technisch sei eine Weiterleitung der Daten von Holcim Dotternhausen zum RP Tübingen kein großer Aufwand, so Daniel Krummacher. „Das ist ein
Scheinargument.“
Holcim müsse regelmäßig die Emissionen messen, diese allerdings nicht regelmäßig abliefern, erklärte Michael Kipnis vom RP. Die Daten würden auf Anfrage zur
Verfügung gestellt. Geregelt ist das im Bundesimmissionschutzgesetz. Dort heißt es in Paragraf 31, Absatz 5: „Der Betreiber einer Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie hat nach Maßgabe
der Nebenbestimmungen der Genehmigung oder auf Grund von Rechtsverordnungen der zuständigen Behörde jährlich Folgendes vorzulegen: 1. eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Emissionsüberwachung
(…)“.
Auf Anfrage oder auf Verlangen?
Rechtsanwalt Krummacher kritisierte den Begriff „auf Anfrage“. „Es gibt einen Unterschied, ob sie ihre Ehefrau anfragen, ob sie mit ihnen in den Urlaub fährt, oder
ob sie es von ihr verlangen.“ Bei einer Anfrage sei im Gegensatz zu Verlangen nicht klar, ob überhaupt etwas vorhanden sei, so Krummacher.
Kontinuierliche Messungen im Halbstundentakt seien vorgeschrieben, führte Dr. Friedrich Wimmer von Holcim aus. „Daran halten wir uns.“ Er sprach von „120.000
Messwerten“, die für jemandem, der die Daten nicht bewerten kann, wenig aussagekräftig seien. Das RP und Holcim könnten die Werte beurteilen, Laien nicht.
Kritische Zwischenrufe
Hier gab es nun Zwischenrufe von den über 20 Zuhörerinnen und Zuhörern. „Es ist zu Überschreitungen der Messwerte gekommen“, führte der zweite Vorsitzende des NUZ,
Siegfried Rall aus. Das seien erhöhte Messwerte, aber keinesfalls Überschreitungen gewesen, konterte Dr. Friedrich Wimmer. Es gebe zudem keinen Mehrwert der gesamten Daten gegenüber eines
Berichts. Da widersprach dann auch Rechtsanwalt Daniel Krummacher: „Man kann sich Expertisen einholen, mittels deren die Daten richtig eingeordnet werden können.“
Autor: Daniel Seeburger
Quelle: zak